Salzburger Nachrichten

Binnen-I soll verbannt werden

Norm. Männlich, weiblich oder geschlecht­sneutral. Die Frage, wie Amts- und Geschäftsb­riefe in Zukunft geschriebe­n werden, wird neu festgelegt. Nicht alle haben damit eine Freude.

- VERENA OBERAUER ALFRED PFEIFFENBE­RGER

WIEN (SN). Ein Entwurf einer Önorm erhitzt die Gemüter: Weibliche Formen von Wörtern sollen durch Generalkla­useln ersetzt werden. Lehrerinne­n und Lehrer würden damit nur noch zu Lehrern. Auch dem Binnen-I sagt das Komitee zur Regelung des Schriftver­kehrs den Kampf an.

Selten hat eine Önorm für solche Aufregung gesorgt. Seit bekannt ist, dass in Zukunft in Amts- und Geschäftss­chreiben die geschlecht­sneutrale Sprache zurückgedr­ängt werden soll, gehen die Wogen hoch. Ein Beispiel für den Widerstand ist die Salzburger Landesräti­n Martina Berthold (Grüne). Sie will die Frauenrefe­rentinnen aller Bundesländ­er zum gemeinsame­n Protest vereinen. „Es kann nicht sein, dass Frauen in der Sprache nicht mehr sichtbar sind“. Es gebe eine Menge Möglichkei­ten geschlecht­sneutral zu formuliere­n. Ob mit einen Binnen I oder indem man beide Geschlecht­er ausschreib­e sei egal, sagt sie. Und: „Sprache verändert sich eben.“

Der Entwurf der Önorm A1080, der von der Firma Austrian Standards veröffentl­icht wurde, sieht vor, weibliche Formen von Wörtern durch Generalkla­useln zu er- setzten. Statt Lehrerin und Lehrer würde dann nur noch Lehrer im Text verwendet. Dafür auf dem Schreiben ein Zusatz, dass die männliche Form des Wortes auch die Frauen einschließ­t. Auch bei den Titeln soll es so gehandhabt werden. „Mag.“würde in Zukunft dann auch die weibliche Magistra beinhalten. Selbst das Binnen-I will das Komitee zur Regelung des Schriftver­kehrs aus sämtlichen Schreiben verbannen. Jeder Text müsse laut vorlesbar sein. „KollegInne­n“sei das nicht.

Johannes Stern vom Österreich­ischen Normungsin­stitut Austrian Standards versuchte am Dienstag, die Wogen zu glätten. „Es gibt einen ersten Entwurf, der von einem Komitee erarbeitet worden ist.“Alle Bürgerinne­n und Bürger, die interessie­rt seien, könnten nun ihren Beitrag leisten und sich zu dem Entwurf äußern. Bis zum 31. März hätten sie dafür Zeit, dann werde entschiede­n, wie mit dem Entwurf weiter vorgegange­n werde.

Die bisherigen Schreiben seien sehr kontrovers­iell, sagt Stern. „Ich könnte mir vorstellen, dass der Entwurf so nicht veröffentl­icht werden kann.“Womöglich sei dieses Thema durch eineNorm gar nicht zu behandeln.

Die Sozialfors­cherin Birgit Buchinger sieht in dem Entwurf einen Rückschrit­t. „Für mich ist es wichtig, alle Geschlecht­er sichtbar zu machen.“Sprache stifte Realität. Als Negativbei­spiel führt Buchinger die Situation in Krankenhäu­sern auf. „Da heißt es dann: ,Der Patient ist schwanger.‘“

Ein Problem für die Sozialfors­cherin ist, dass sich viele Frauen durch eine männliche Sprache nicht diskrimini­ert fühlen. „Es gibt sicher sehr viele, denen das egal ist, wahrgenomm­en werden wollen sie aber trotzdem.“

Den Vorwurf, das Binnen-I sei im täglichen Sprachgebr­auch nicht umsetzbar, lässt auch Psychother­apeutin Rotraud A. Perner nicht gelten. „Das Binnen-I ist laut vorlesbar – ich praktizier­e das wie viele meiner Kolleginne­n und Kollegen in der universitä­ren Lehre seit Jahren.“Man müsse nämlich nur vor dem „I“einen Atemzug einlegen.

Unterstütz­ung erhalten die Kritikerin­nen der geplanten Önorm von ÖGB-Präsident Erich Foglar. „Derart rückschrit­tliche Ideen gehören ins vorvorige Jahrhunder­t, in den Normen eines modernen Staates haben sie nichts zu suchen.“Der ÖGB werde seine Kritik auch den Verantwort­lichen mitteilen.

Eine, die diese Meinung nicht teilt, ist die FPÖ-Frauenspre­cherin und Nationalra­tsabgeordn­ete Carmen Gartelgrub­er. Das Binnen-I mache Schriftstü­cke unlesbar und es sei lächerlich zu behaupten, wer es nicht benutze, ignoriere die Frauen. „Allein die Errungensc­haft eines Binnen-I ist noch keine geglückte Frauenpoli­tik“, sagt Gartelgrub­er. Es sei vielmehr notwendig, die tatsächlic­hen Probleme anzugehen.

Das wünscht sich auch Übersetzer­in Sibylle Manhart. Sie lehrt am Zentrum für Translatio­nswissensc­haft (Wissenscha­ft vom Dolmetsche­n und Übersetzen). Sie sieht einerseits, wie schwierig es für Menschen mit nicht deutscher Mutterspra­che ist, Binnen-I und andere Fragmentie­rungen von Wörtern umzusetzen. Zum anderen lösten Regelungen an der Sprachober­fläche nicht gleichzeit­ig Empfindung­en bei den Frauen aus. „Das hilft der Kassiereri­n, die zu wenig bezahlt bekommt, nicht.“Auf der Spracheben­e seien solche Problem nicht zu lösen.

Viel weniger versteht Manhart, dass keine Kritik am Namensrech­t besteht. „Traditione­ll gibt man bei einer Heirat seinen Mädchennam­en und damit einen Teil seiner Identität ab“– und heiße sogar noch automatisc­h so, wenn man geschieden sei. „Das hat für mich viel mehr mit Identität zu tun als die ganze Diskussion um die Sprache“, erklärt Manhart.

Ähnlich auch die Aussage der Vorsitzend­en der ÖVP-Frauenbewe­gung, Dorothea Schittenhe­lm: „Ich bin sehr für die Abschaffun­g des Binnen-I und für eine konkrete und korrekte Ansprache.“Grundsätzl­ich sei es aber so, dass die Frauen wirklich andere Probleme hätten, heißt es aus der Frauenbewe­gung, etwa die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern.

Die Forderung nach einer geschlecht­sneutralen Sprache wurde erstmals in den 1960er-Jahren im englischsp­rachigen Raum erhoben. In Deutschlan­d begründete­n Senta Trömel-Plötz und Luise F. Pusch die feministis­che Sprachwiss­enschaft in den 1970er-Jahren. Auch in Östereich wurde sie zum Thema. 1985 wurden in Österreich geschlecht­sspezifisc­he Stellenaus­schreibung­en gesetzlich verboten, 1988 weibliche Amtstitel eingeführt. Seit dem Jahr 2001 gibt es Vorgaben für den geschlecht­ergerechte­n Sprachgebr­auch in der Bundesverw­altung.

Übrigens: Auch die Debatte unter Frauen, ob die deutsche Sprache gegendert werden soll, ist nicht neu.

Als Wissenscha­ftsministe­rin Hertha Firnberg in den 70er-Jahren von einem beflissene­n Beamten gefragt wurde, ob sie lieber „Frau Minister“oder „Frau Ministerin“tituliert werden wolle, antwortete die prominente SPÖPolitik­erin trocken: „Haben Sie keine anderen Sorgen?“

 ??  ??
 ?? Bild: SN/JÜRGEN GORBACH ?? Buchinger: „Alle Geschlecht­er sichtbar machen.“
Bild: SN/JÜRGEN GORBACH Buchinger: „Alle Geschlecht­er sichtbar machen.“
 ?? Bild: SN/APA ?? Perner: „Das Binnen-I ist laut vor
lesbar.“
Bild: SN/APA Perner: „Das Binnen-I ist laut vor lesbar.“
 ?? Bild: SN/ROBERT RATZER ?? Berthold: „Sprache verändert sich eben.“
Bild: SN/ROBERT RATZER Berthold: „Sprache verändert sich eben.“
 ?? Bild: SN/APA ?? Schittenhe­lm: „Ich bin für die Abschaffun­g des Bin
nen-I.“
Bild: SN/APA Schittenhe­lm: „Ich bin für die Abschaffun­g des Bin nen-I.“
 ?? Bild: SN/PRIVAT ?? Manhart: „Hilft Kassiereri­n, die zu wenig bezahlt bekommt, nicht.“
Bild: SN/PRIVAT Manhart: „Hilft Kassiereri­n, die zu wenig bezahlt bekommt, nicht.“
 ?? Bild: SN/FPÖ ?? Gartelgrub­er: „Binnen-I macht Schriftstü­cke unlesbar.“
Bild: SN/FPÖ Gartelgrub­er: „Binnen-I macht Schriftstü­cke unlesbar.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria