Binnen-I soll verbannt werden
Norm. Männlich, weiblich oder geschlechtsneutral. Die Frage, wie Amts- und Geschäftsbriefe in Zukunft geschrieben werden, wird neu festgelegt. Nicht alle haben damit eine Freude.
WIEN (SN). Ein Entwurf einer Önorm erhitzt die Gemüter: Weibliche Formen von Wörtern sollen durch Generalklauseln ersetzt werden. Lehrerinnen und Lehrer würden damit nur noch zu Lehrern. Auch dem Binnen-I sagt das Komitee zur Regelung des Schriftverkehrs den Kampf an.
Selten hat eine Önorm für solche Aufregung gesorgt. Seit bekannt ist, dass in Zukunft in Amts- und Geschäftsschreiben die geschlechtsneutrale Sprache zurückgedrängt werden soll, gehen die Wogen hoch. Ein Beispiel für den Widerstand ist die Salzburger Landesrätin Martina Berthold (Grüne). Sie will die Frauenreferentinnen aller Bundesländer zum gemeinsamen Protest vereinen. „Es kann nicht sein, dass Frauen in der Sprache nicht mehr sichtbar sind“. Es gebe eine Menge Möglichkeiten geschlechtsneutral zu formulieren. Ob mit einen Binnen I oder indem man beide Geschlechter ausschreibe sei egal, sagt sie. Und: „Sprache verändert sich eben.“
Der Entwurf der Önorm A1080, der von der Firma Austrian Standards veröffentlicht wurde, sieht vor, weibliche Formen von Wörtern durch Generalklauseln zu er- setzten. Statt Lehrerin und Lehrer würde dann nur noch Lehrer im Text verwendet. Dafür auf dem Schreiben ein Zusatz, dass die männliche Form des Wortes auch die Frauen einschließt. Auch bei den Titeln soll es so gehandhabt werden. „Mag.“würde in Zukunft dann auch die weibliche Magistra beinhalten. Selbst das Binnen-I will das Komitee zur Regelung des Schriftverkehrs aus sämtlichen Schreiben verbannen. Jeder Text müsse laut vorlesbar sein. „KollegInnen“sei das nicht.
Johannes Stern vom Österreichischen Normungsinstitut Austrian Standards versuchte am Dienstag, die Wogen zu glätten. „Es gibt einen ersten Entwurf, der von einem Komitee erarbeitet worden ist.“Alle Bürgerinnen und Bürger, die interessiert seien, könnten nun ihren Beitrag leisten und sich zu dem Entwurf äußern. Bis zum 31. März hätten sie dafür Zeit, dann werde entschieden, wie mit dem Entwurf weiter vorgegangen werde.
Die bisherigen Schreiben seien sehr kontroversiell, sagt Stern. „Ich könnte mir vorstellen, dass der Entwurf so nicht veröffentlicht werden kann.“Womöglich sei dieses Thema durch eineNorm gar nicht zu behandeln.
Die Sozialforscherin Birgit Buchinger sieht in dem Entwurf einen Rückschritt. „Für mich ist es wichtig, alle Geschlechter sichtbar zu machen.“Sprache stifte Realität. Als Negativbeispiel führt Buchinger die Situation in Krankenhäusern auf. „Da heißt es dann: ,Der Patient ist schwanger.‘“
Ein Problem für die Sozialforscherin ist, dass sich viele Frauen durch eine männliche Sprache nicht diskriminiert fühlen. „Es gibt sicher sehr viele, denen das egal ist, wahrgenommen werden wollen sie aber trotzdem.“
Den Vorwurf, das Binnen-I sei im täglichen Sprachgebrauch nicht umsetzbar, lässt auch Psychotherapeutin Rotraud A. Perner nicht gelten. „Das Binnen-I ist laut vorlesbar – ich praktiziere das wie viele meiner Kolleginnen und Kollegen in der universitären Lehre seit Jahren.“Man müsse nämlich nur vor dem „I“einen Atemzug einlegen.
Unterstützung erhalten die Kritikerinnen der geplanten Önorm von ÖGB-Präsident Erich Foglar. „Derart rückschrittliche Ideen gehören ins vorvorige Jahrhundert, in den Normen eines modernen Staates haben sie nichts zu suchen.“Der ÖGB werde seine Kritik auch den Verantwortlichen mitteilen.
Eine, die diese Meinung nicht teilt, ist die FPÖ-Frauensprecherin und Nationalratsabgeordnete Carmen Gartelgruber. Das Binnen-I mache Schriftstücke unlesbar und es sei lächerlich zu behaupten, wer es nicht benutze, ignoriere die Frauen. „Allein die Errungenschaft eines Binnen-I ist noch keine geglückte Frauenpolitik“, sagt Gartelgruber. Es sei vielmehr notwendig, die tatsächlichen Probleme anzugehen.
Das wünscht sich auch Übersetzerin Sibylle Manhart. Sie lehrt am Zentrum für Translationswissenschaft (Wissenschaft vom Dolmetschen und Übersetzen). Sie sieht einerseits, wie schwierig es für Menschen mit nicht deutscher Muttersprache ist, Binnen-I und andere Fragmentierungen von Wörtern umzusetzen. Zum anderen lösten Regelungen an der Sprachoberfläche nicht gleichzeitig Empfindungen bei den Frauen aus. „Das hilft der Kassiererin, die zu wenig bezahlt bekommt, nicht.“Auf der Sprachebene seien solche Problem nicht zu lösen.
Viel weniger versteht Manhart, dass keine Kritik am Namensrecht besteht. „Traditionell gibt man bei einer Heirat seinen Mädchennamen und damit einen Teil seiner Identität ab“– und heiße sogar noch automatisch so, wenn man geschieden sei. „Das hat für mich viel mehr mit Identität zu tun als die ganze Diskussion um die Sprache“, erklärt Manhart.
Ähnlich auch die Aussage der Vorsitzenden der ÖVP-Frauenbewegung, Dorothea Schittenhelm: „Ich bin sehr für die Abschaffung des Binnen-I und für eine konkrete und korrekte Ansprache.“Grundsätzlich sei es aber so, dass die Frauen wirklich andere Probleme hätten, heißt es aus der Frauenbewegung, etwa die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern.
Die Forderung nach einer geschlechtsneutralen Sprache wurde erstmals in den 1960er-Jahren im englischsprachigen Raum erhoben. In Deutschland begründeten Senta Trömel-Plötz und Luise F. Pusch die feministische Sprachwissenschaft in den 1970er-Jahren. Auch in Östereich wurde sie zum Thema. 1985 wurden in Österreich geschlechtsspezifische Stellenausschreibungen gesetzlich verboten, 1988 weibliche Amtstitel eingeführt. Seit dem Jahr 2001 gibt es Vorgaben für den geschlechtergerechten Sprachgebrauch in der Bundesverwaltung.
Übrigens: Auch die Debatte unter Frauen, ob die deutsche Sprache gegendert werden soll, ist nicht neu.
Als Wissenschaftsministerin Hertha Firnberg in den 70er-Jahren von einem beflissenen Beamten gefragt wurde, ob sie lieber „Frau Minister“oder „Frau Ministerin“tituliert werden wolle, antwortete die prominente SPÖPolitikerin trocken: „Haben Sie keine anderen Sorgen?“