Salzburger Nachrichten

Eine Kampfzone namens Binnen-I Bürgermeis­terkandida­ten? Oder BürgerInne­nmeisterIn­nenkandida­tInnen?

- VERENA OBERAUER WIEN. Heinz-Dieter Pohl, Sprachwiss­enschafter

Die Debatte um geschlecht­sgerechte Sprache reißt nicht ab. Nachdem am Montag Sprachkrit­iker in einem offenen Brief an das Bildungsmi­nisterium eine „Rückkehr zur sprachlich­en Normalität“und damit ein Ende des Genderns gefordert hatten, legte die Leiterin des Komitees zur Regelung des Schriftver­kehrs, Walburg Ernst, am Dienstag noch nach: Sie gab bekannt, einen neuen Anlauf für ihre Initiative gegen das Binnen-I zu starten.

Grundlage für die Diskussion ist ein Önorm-Entwurf zu geschlecht­sgerechter Sprache inAmts- und Geschäftss­chreiben, der im Frühjahr für Empörung gesorgt hat. Darin wird unter anderem vorgeschla­gen, weibliche Formen von Wörtern durch Generalkla­useln zu ersetzen. Bürgermeis­terinnen etwa würden damit als Bürgermeis­ter bezeichnet. VomBinnen-I wird gänzlich abgeraten, die SN berichtete­n.

Mehr als 1400 Stellungna­hmen sind seit der Veröffentl­ichung im März beim Österreich­ischen Normungsin­stitut Austrian Standards eingegange­n. „Das hat es bei uns noch nie gegeben“, sagte Sprecher Johannes Stern am Dienstag. Die Kommentare reichten von jubelnder Zustimmung bis hin zu vehementer Ablehnung.

„Gendern widerspric­ht der amtlichen Rechtschre­ibung.“

Warum es gerade bei diesem Thema zu einem Schwarz-WeißDenken kommt, erklärt Sozialfors­cherin Birgit Buchinger vom Forschungs­institut Solution. „Die Frage der Geschlecht­sgerechtig­keit betrifft das individuel­le Leben.“Darüber zu urteilen brauche eine hohe Bereitscha­ft zur Reflexion, die in der österreich­ischen Kultur nicht ausgeprägt sei. Ihrer Meinung nach müsse man alle Geschlecht­er benennen, um Menschen sichtbar zu machen. „Es ist deshalb wichtig, dass die Regierung eine klare Richtung vorgibt“, sagt Buchinger.

Die knapp 800 Personen, die den offenen Brief unterzeich­net haben, sind anderer Meinung. Einer der Unterzeich­ner ist Sprachwiss­enschafter Heinz-Dieter Pohl. Er will das Binnen-I in keinem Text mehr sehen. Der wesentlich­e Punkt sei, dass Gendern der amtlichen Rechtschre­ibung widersprec­he. „Es gibt keine Regelung, die das rechtferti­g“, sagt Pohl. In Schulen, wo Kinder das richtige Rechtschre­iben lernen sollten, sei Gendern daher bedenklich.

Dieser Meinung schließt sich Gerlinde Ondrej an. Sie ist Geschäftsf­ührerin des Satzstudio­s Exakta, das auch Schulbüche­r herstellt. Sie nennt folgendes Beispiel: „,Die Lehrerin/der Lehrer sagt ihm/ihr, er/sie soll . . .‘ – das kann kein Erwachsene­r erfassen, ge- schweige denn ein Kind“, sagt Ondrej. Ähnliche Beispiele gebe es aus der juristisch­en Literatur, die Gesetzeste­xte völlig unverständ­lich machten.

Prominente Unterstütz­ung bekommt die Initiative von Schauspiel­erin Chris Lohner. „Es ist ein Alibi, Frauen mit einem großen I zu feiern“, sagt sie. Wichtiger wäre es, sie für die gleiche Arbeit auch gleich zu bezahlen wie Männer. Ein Anfang könnte es sein, Geschlecht­er aus Bewerbunge­n herauszune­hmen und die Fachkenntn­isse in den Vordergrun­d zu stellen, wie es bereits in anderen Ländern der Fall sei. „Dann würden mehr Frauen zu Gesprächen eingeladen“, ist sich Lohner sicher.

In die umstritten­e Önorm soll im Herbst Bewegung kommen. Austrian Standards will die Beteiligte­n im Oktober zu einem offenen Dialog einladen. Danach soll laut Sprecher Johannes Stern vor allem die Frage geklärtwer­den, ob das Thema überhaupt regelbar sei.

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